Anetts Bücherwelt |
„Wie
ihm ihre Erschütterung über die Rasanz der Zeit erklären, die mit
jedem Besuch stärker wurde? Wie ihm schildern, dass ihr Leben jetzt
schon diese Schichten von Vergangenheiten und von Vorvergangenheiten
aufwies, von denen die entferntesten bereits verblassten und die sie
mit niemanden teilen konnte? Das es sie erschreckte, wenn ihr anstatt
Volkslieder nur Pionierlieder einfielen, die niemand in ihrem Umfeld
kannte, genauso wie sie zum Albertplatz weiter Platz der Einheit
sagte?“
(Seite
47)
Anetts Bücherwelt |
Johanna
hat eigentlich alles im Griff. Sie lebt und arbeitet mit ihrem Mann
in einer westdeutschen Stadt und beide sind sehr erfolgreich.
Bis
sie Einsicht in ihre Stasi-Akte genommen hatte. Da war nicht viel,
sie war nicht dick, lediglich ein kurzes Anschreiben mit Notizen zu
ihr und ihrer Familie. IM Mitarbeiter sind nicht mit Klarnamen in der
Akte, und trotzdem weiß Johanna recht schnell, wer dahinter steckte.
Ein Schulkamerad, den sie verschmäht hatte. Johanna war zu dieser
Zeit damals mit Felix liiert, der total unangepasst war. Nun fand sie
heraus, dass ihr Studienplatz wohl auf Schiebung beruhte, Felix
jedoch damals seinen verlor.
Johannas
Mann kann es nicht verstehen, dass sie überhaupt Einsicht in die
Akte wollte! Er benahm sich meines Erachtens so total daneben, und
statt Johanna zu unterstützen hat er sie immer nur abgetan, wie ein
kleines Kind. Total unsympathischer Mensch – das hat sich für mich
bis zum Ende nicht geändert.
>>
„Doch, klar, Untergang einer alten Welt,“ versicherte Stephan.
„Ampelmann- Romantik. Früher hast du darüber gelacht. …
Weshalb musst du dich ausgerechnet jetzt, mit einundvierzig, zum
Ausgrabungsobjekt machen? <<
(Seite
48)
>>
Mit einem Lacher meinte er: „Ich wette, da gibt’s keine Akte. Das
wäre ja die erste Spur, die du im Leben hinterließest.“<<
(Seite
49)
Aber
warum macht sie das wirklich? Das wird nicht geklärt. Vielleicht ist
es wirklich so, dass man, wenn man älter ist, anders darüber
nachdenkt. Man eher geneigt ist, zu lesen, ob da überhaupt etwas
war.
Ich
bin jetzt über 40 und auch mich interessiert es jetzt mehr, habe ich
eine Akte? Gibt es Notizen von mir? Will ich das wissen?
Wir
haben hier in Chemnitz ebenfalls eine Stasi- Zentrale für die
Akteneinsicht und im Laufe dieses Specials, wo ich mich wieder
vermehrt mit der ganzen Vergangenheit befasst habe, stellt sich mir
nun auch wieder die Frage.
Die
nächste Frage ist, was mach ich, wenn ich es weiß? Wenn ich weiß,
was in der Akte steht? Was mach ich mit diesem Wissen?
Ehrlich
gesagt, weiß ich das auch nicht so genau, eigentlich ist es rein die
Neugier, die in mir siegt, als ich das Formular im Internet
ausgedruckt und ausgefüllt habe. Anfang Oktober ist in der Zentrale
wieder eine offene Führung und ich werde ganz sicher hingehen –
ich will das endlich mal sehen – rein aus Neugier, das hat auch
nichts mit Ostalgie etc. zu tun.
Aber
was hat Johanna mit ihrem Wissen angestellt?
Als
sie Weihnachten wieder bei ihren Eltern in Dresden ist, will sie
diese damit konfrontieren. Die, die nichts davon wissen wollten.
Meiner
Meinung nach geht sie einfach viel zu verkehrt mit der ganzen Sache
um. Sie tut Dinge, die mir gar nicht gefallen haben!
Als
sie dann auch noch erfährt, dass ihr Jugendfreund Felix mittlerweile
mit ihrer Schwester zusammen ist, gerät ihr Leben komplett aus den
Fugen.
Und
sie benimmt sich zerfressen von Eifersucht und Missgunst, einfach nur
daneben. Von nun an war sie mir immer unsympathischer und viele Dinge
die sie tat und unternahm konnte ich einfach nicht nachvollziehen.
Aber
nicht nur privat. Auch beruflich muss sie sich beweisen, denn sie
scheint in einer Männerdomäne zu arbeiten und muss sich nicht nur
gegen die ganzen Bosse durchsetzen, auch noch gegen ihren eigenen
Ehemann. Wie gesagt, er wurde nicht sympathischer.
Wieso
nur hat mir das Buch dann doch so sehr gefallen, wenn es nur so
unsympathische Protagonisten waren?
Weil
es so nah an der Realität ist! Und weil keiner sagen kann, wie er
reagieren würde, wenn er solche Sachen aus der Vergangenheit
erfahren würde. Wenn man erfährt, wie man bespitzelt wurde, wenn
man erfährt, man hat den Studienplatz seines Jugendfreundes wegen
Schiebung bekommen und all die Dinge, kann irgendjemand sagen, wie er
dann reagieren würde?
Die
Grenzen verschieben sich einfach so sehr, wenn man die Wahrheit weiß.
Am
Ende (so viel möchte ich verraten), hat sich Johanna einbekommen und
ich war versöhnt mit ihr. Sie hat ihren Lebensweg geändert und war
mit sich selbst wieder viel glücklicher, als mit dem ständigen
Konkurrenzdenken, privat wie beruflich.
Hier
mal noch ein paar Zahlen zum Archiv:
Quelle: Stasi-Unterlagenarchiv |
Quelle: Stasi-Unterlagenarchiv |
Habt
einen friedlichen Tag,
Eure
Anett.
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/ Leseexemplar
Mitteldeutscher
Verlag / ISBN 978-3963111266
21.Mai 2019 / 304
Seiten / Taschenbuch 16,00€
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