***---***Special 30 Jahre Friedliche Revolution ***---*** [Roman] Wir schenken uns Nichts – Martine Lombard

Ani
Anetts Bücherwelt

Wie ihm ihre Erschütterung über die Rasanz der Zeit erklären, die mit jedem Besuch stärker wurde? Wie ihm schildern, dass ihr Leben jetzt schon diese Schichten von Vergangenheiten und von Vorvergangenheiten aufwies, von denen die entferntesten bereits verblassten und die sie mit niemanden teilen konnte? Das es sie erschreckte, wenn ihr anstatt Volkslieder nur Pionierlieder einfielen, die niemand in ihrem Umfeld kannte, genauso wie sie zum Albertplatz weiter Platz der Einheit sagte?“

(Seite 47)

Anetts Bücherwelt


Johanna hat eigentlich alles im Griff. Sie lebt und arbeitet mit ihrem Mann in einer westdeutschen Stadt und beide sind sehr erfolgreich.
Bis sie Einsicht in ihre Stasi-Akte genommen hatte. Da war nicht viel, sie war nicht dick, lediglich ein kurzes Anschreiben mit Notizen zu ihr und ihrer Familie. IM Mitarbeiter sind nicht mit Klarnamen in der Akte, und trotzdem weiß Johanna recht schnell, wer dahinter steckte. Ein Schulkamerad, den sie verschmäht hatte. Johanna war zu dieser Zeit damals mit Felix liiert, der total unangepasst war. Nun fand sie heraus, dass ihr Studienplatz wohl auf Schiebung beruhte, Felix jedoch damals seinen verlor.
Johannas Mann kann es nicht verstehen, dass sie überhaupt Einsicht in die Akte wollte! Er benahm sich meines Erachtens so total daneben, und statt Johanna zu unterstützen hat er sie immer nur abgetan, wie ein kleines Kind. Total unsympathischer Mensch – das hat sich für mich bis zum Ende nicht geändert.

>> „Doch, klar, Untergang einer alten Welt,“ versicherte Stephan. „Ampelmann- Romantik. Früher hast du darüber gelacht. … Weshalb musst du dich ausgerechnet jetzt, mit einundvierzig, zum Ausgrabungsobjekt machen? <<
(Seite 48)
>> Mit einem Lacher meinte er: „Ich wette, da gibt’s keine Akte. Das wäre ja die erste Spur, die du im Leben hinterließest.“<<
(Seite 49)

Aber warum macht sie das wirklich? Das wird nicht geklärt. Vielleicht ist es wirklich so, dass man, wenn man älter ist, anders darüber nachdenkt. Man eher geneigt ist, zu lesen, ob da überhaupt etwas war.
Ich bin jetzt über 40 und auch mich interessiert es jetzt mehr, habe ich eine Akte? Gibt es Notizen von mir? Will ich das wissen?
Wir haben hier in Chemnitz ebenfalls eine Stasi- Zentrale für die Akteneinsicht und im Laufe dieses Specials, wo ich mich wieder vermehrt mit der ganzen Vergangenheit befasst habe, stellt sich mir nun auch wieder die Frage.
Die nächste Frage ist, was mach ich, wenn ich es weiß? Wenn ich weiß, was in der Akte steht? Was mach ich mit diesem Wissen?
Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht so genau, eigentlich ist es rein die Neugier, die in mir siegt, als ich das Formular im Internet ausgedruckt und ausgefüllt habe. Anfang Oktober ist in der Zentrale wieder eine offene Führung und ich werde ganz sicher hingehen – ich will das endlich mal sehen – rein aus Neugier, das hat auch nichts mit Ostalgie etc. zu tun.

Aber was hat Johanna mit ihrem Wissen angestellt?
Als sie Weihnachten wieder bei ihren Eltern in Dresden ist, will sie diese damit konfrontieren. Die, die nichts davon wissen wollten.

Meiner Meinung nach geht sie einfach viel zu verkehrt mit der ganzen Sache um. Sie tut Dinge, die mir gar nicht gefallen haben!
Als sie dann auch noch erfährt, dass ihr Jugendfreund Felix mittlerweile mit ihrer Schwester zusammen ist, gerät ihr Leben komplett aus den Fugen.
Und sie benimmt sich zerfressen von Eifersucht und Missgunst, einfach nur daneben. Von nun an war sie mir immer unsympathischer und viele Dinge die sie tat und unternahm konnte ich einfach nicht nachvollziehen.

Aber nicht nur privat. Auch beruflich muss sie sich beweisen, denn sie scheint in einer Männerdomäne zu arbeiten und muss sich nicht nur gegen die ganzen Bosse durchsetzen, auch noch gegen ihren eigenen Ehemann. Wie gesagt, er wurde nicht sympathischer.

Wieso nur hat mir das Buch dann doch so sehr gefallen, wenn es nur so unsympathische Protagonisten waren?
Weil es so nah an der Realität ist! Und weil keiner sagen kann, wie er reagieren würde, wenn er solche Sachen aus der Vergangenheit erfahren würde. Wenn man erfährt, wie man bespitzelt wurde, wenn man erfährt, man hat den Studienplatz seines Jugendfreundes wegen Schiebung bekommen und all die Dinge, kann irgendjemand sagen, wie er dann reagieren würde?
Die Grenzen verschieben sich einfach so sehr, wenn man die Wahrheit weiß.

Am Ende (so viel möchte ich verraten), hat sich Johanna einbekommen und ich war versöhnt mit ihr. Sie hat ihren Lebensweg geändert und war mit sich selbst wieder viel glücklicher, als mit dem ständigen Konkurrenzdenken, privat wie beruflich.


Hier mal noch ein paar Zahlen zum Archiv:
Quelle: Stasi-Unterlagenarchiv

Quelle: Stasi-Unterlagenarchiv
Habt einen friedlichen Tag,
Eure Anett.

Anzeige / Leseexemplar
Mitteldeutscher Verlag / ISBN 978-3963111266
21.Mai 2019 / 304 Seiten / Taschenbuch 16,00€

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